Im letzten Saisonspiel des SV Neukölln 09 gegen die Basket Dragons Marzahn ist noch einmal alles drin: Drei Mal kommt das Team zurück ins Spiel, der Gegner erzwingt die Overtime und diese wird episch gewonnen: 75:77.
Eigentlich ist die Saison für die Neuköllner Bären beendet. Fest gebucht auf Platz Vier ohne Aussicht auf Auf- oder Abstieg fahren die Pelzpredatoren zur letzten Vorstellung nach Marzahn. Im Vorfeld bereits durch die grassierende Bärengrippe dezimiert, sind nur acht Bären übrig geblieben. Für die Gastgeber von den Basket Dragons Marzahn dagegen geht es um das pure Überleben in der Bezirksliga C. Sie brauchen den Sieg im letzten Spiel, um aus eigener Kraft dem Abstieg zu entkommen.
Ab der ersten Sekunde merkt man den Dragons an, dass sie alles geben werden, um ihre Drachenhort zu verteidigen. Die ersten Minuten verschläft der SVN ohne Körperspannung und mit überflüssigen Ballverlusten: 9:2 für die schuppigen Gastgeber. Nach kurzem Blick auf das Scoreboard legen die Bären jedoch ihre anfängliche Lethargie ab. Von schnellen Armen sowie guter Helpside in der Defense, die einige Fastbreaks bescheren, über freie Würfe und Offensivrebounds für Second-Chance-Points antworten die Neuköllner Bären ihrerseits mit einem 2:19-(!!!)Lauf. Der SV hält die Marzahner Drachen kurz an der langen Leine von zehn Punkten; das erste Viertel geht schließlich verdient nach Neukölln: 15:21.
Die Basket Dragons Marzahn ändern daraufhin ihre Defense. Sie müssen auf die vielen freien Würfe der Bären reagieren und breiten ihre schuppigen Flügel zu einer 2-3-Zone aus – ein cleverer Schachzug. Denn die Neuköllner verlieren ihre kalte Schnauze und stehen plötzlich völlig ratlos vor der Drachenzone. Die Bären bekommen den Ball nicht gut genug bewegt und damit keine freien Würfe mehr. Das resultiert in einigen schlechten Pässen und Ballverlusten sowie leichten Punkten für die Hausdrachen. Diese scheinen sich im Kopf der Neuköllner einzunisten, die plötzlich nix mehr treffen, einfache Pässe verweigern und zu langsam in der Verteidigung sind. Der Bären-Coach muss zwei Auszeiten nehmen. Doch das kann den 17:4-Höhenflug der Marzahner Feuerspucker nicht bremsen. Die Halbzeitsirene erlöst die Bären schließlich von ihrem Leid. Sie verlieren das zweite Viertel mit 15 Punkten – ein 20-Punkte-Turnaround zur Halbzeit: 29:38.
Da beiden Teams klar ist, dass das Spiel nicht ohne Kampf gewonnen werden kann, erhöht sich in der zweiten Hälfte auf beiden Seiten der Defensivdruck. Die Neuköllner Bären ziehen nun verstärkt zum Korb und erzwingen Fouls (4/8 von der Linie – nja). Die Hausdrachen hingegen spielen sich fast in einen Rausch und sind von ihren Emotionen überflügelt. Sie fliegen nach 26 Minuten auf 15 Punkte davon – aber die Bären sind nicht zum Drachensteigen nach Marzahn gekommen. Die Bären stellen sich auf die Hinterbeine und machen ihre Presse groß. Die Dragons sehen die Zone vor lauter Fell nicht mehr. Das Momentum dreht sich und die Bären können sich wieder auf acht Punkte heranschleichen: 51:43 nach 30 Minuten.
Die ersten drei Minuten im letzten Viertel gehören dann endgültig den Gästen aus Neukölln. Stark unterm Korb und an der Linie zwingen sie die Dragons zu einer Feuerpause – Auszeit nach einer Minute. Die Hausdrachen stellen auf Mann-Mann-Verteidigung um. Die pelzigen Neuköllner gleichen mit einem 0:8-Lauf aus: 51:51. Schön, wie die Bären emsig Fouls ziehen und sich an der Linie belohnen – allein 13 von 16 Mal in diesem Viertel. Zur Belohnung gibt es eine Fünf-Punkte-Führung eine Minute vor Schluss – 57:62. Doch die Drachen antworten unbeeindruckt: sieben Punkte in Folge gegen die Bärenzone – 64:62.
Time to Drama: Die Neuköllner kommen frei zum Dreipunktwurf mit 17 Sekunden Restzeit: Der Ball springt hinten auf den Ring, steigt dann steil nach oben und fällt zurück nach unten durch das Netz – Führung (64:65)! Im nächsten Angriff verlieren die Drachen durch einen Fehlpass ins Aus das orangene Leder; die Bären haben das Spiel fest in der Pranke. Einwurf, die Drachen foulen, um die Uhr zu stoppen. Beide Freiwürfe gehen souverän ins Netz – 64:67. Auszeit Marzahn mit zehn Sekunden auf der Uhr. Der SV Neukölln 09 hat scheinbar kein Interesse daran, die Saison so plötzlich enden zu lassen: Denn die Dragons werfen ein und dürfen einige schnelle Pässe um die Zone herum spielen. Etwas Platz für einen Dreier über die Arme der Verteidigung – und der Ball ist drin – Ausgleich (67:67)! Jubel wie beim Gewinn der Weltmeisterschaft, verständlich. Die Neuköllner können nur noch von der Mittellinie werfen, verfehlen aber knapp. Die Drachen erzwingen die Overtime.
Zugabe – Die Bärensaga des Marzahner Drachen beginnt
Das Spiel beginnt quasi neu, aber mit ungünstigen Voraussetzungen für den SVN: Ohnehin mit nur acht Bären angereist, dezimierten sich die Reihen durch eine Verletzung und zwei ausgefoulte Spieler auf fünf – gerade noch spielfähig und zwei der verbliebenen Pelzträger mit vier Fouls belastet. Mit dem Momentum auf ihrer Seite sind die weiterhin zwölf Feuerspeier nun in der Favoritenrolle – und gehen durch zwei schnelle Steals und Fastbreaks direkt mit vier Punkten in Führung. Es folgt ein offener Schlagabtausch (jetzt ohne Fouls), und kein Team kann sich absetzen. In der letzten Minute gleichen die Neuköllner mit kalter Schnauze von draußen aus (75:75). Die Drachen vergeben auf der Gegenseite, ein Bär reboundet und stürmt geistesgegenwärtig zum Angriff, überrascht die Defense und kann Coast-to-Coast (Neukölln to Marzahn) eins gegen eins gehen – der Runner ist drin und die Bären sind mit zwei vorne! Noch vier Sekunden – Auszeit Dragons. Die Situation ist dieselbe wie am Ende des vierten Viertels: Die Drachen gehen schwierig für drei, doch der Ball geht weit am Ziel vorbei! Aus. Die Bären gewinnen eines der verrücktesten Spiele ihrer Vereinsgeschichte mit 75:77.
Es gleicht einer Saga: den langen beschwerlichen Weg in eine märchenhafte Welt voller klaffender grauer Schluchten zu beschreiten, um Drachen zu bekämpfen und die Prinzessin Cindy aus Marzahn zu retten. Der Bär aus Neukölln zieht gegen den Drachen in die epische Schlacht von Gut und Böse.
Der SV Neukölln zeigt eine großartige Teamleistung und kann einen 15-Punkte-Rückstand aufholen. Auch wenn dieses Spiel deutlich einfacher hätte gewonnen werden können, beweisen die Bären feuerfeste Nerven im Drachenhort. Vielleicht spielt bei den jungen Drachen die nicht vorhandene Erfahrung eine Rolle, die sich des Sieges kurzzeitig etwas zu sicher waren. Die Zonenpresse und eine starke Freiwurfquote im letzten Viertel sind ausschlaggebend für den knappen Sieg. Entsprechend heldenhaft wird beim Duschen in Marzahner Drachenblut gebadet. Ob es jedem Bären unter das Fell gegangen ist, wird sich in der nächsten Saison zeigen. Das ist der Stoff, aus dem Sagen gemacht sind – der Held ist dieses Mal jedoch ein einfacher, stark behaarter Bär aus Neukölln.
Notabene: Aufgrund der gleichzeitigen Niederlage des SSV Intercor 2 bleiben die Basket Dragons Marzahn 1 wohl auch in der kommenden Saison der Bezirksliga erhalten.